Märchen der Brüder Grimm

Frau Holle

zusammengefasste inhaltliche Darstellung für Erwachsene                        5.2.2015

 

Eine Witwe hat zwei Töchter, die eine ist fleißig und schön und die andere faul und hässlich. Die Mutter liebt die Hässliche, die ihre rechte Tochter ist, mehr als die Schöne, die ihre Stieftochter ist. Die muss alle Arbeit im Haus tun und am Brunnen so viel spinnen, bis ihr das Blut aus den Fingern spritzt.

Einmal, als die Spule blutig wird, will sie sie im Wasser des Brunnens reinigen. Dabei fällt ihr die Spule hinein. Die Stiefmutter zeigt kein Erbarmen, sondern fordert, dass sie sie herauf holt.

In seiner Not springt das Mädchen in den Brunnen, verliert die Besinnung und wacht auf einer sonnenlichten schönen Blumenwiese wieder auf. Es geht fort, kommt an einen Backofen voll von fertig gebackenem Brot und holt es auf seine Bitte hin heraus. Dann hört es einen Apfelbaum um Hilfe rufen, schüttelt alle reifen Äpfel ab und stapelt sie ordentlich. Als es zu einem kleinen Haus kommt, schaut eine alte Frau heraus, deren langen Zähne ihm Angst machen. Das ist Frau Holle, die das Mädchen beruhigt und einlädt, bei ihr die Arbeiten im Haus zu verrichten. Besonders sorgfältig soll ihr Bett ausgeschüttelt werden, denn dann schneit es oben in der Welt. Das Mädchen tut alles zur vollen Zufriedenheit und dabei geht es ihm gut wie nie zuvor.

Trotzdem fühlt es Heimweh und bittet zu den Ihren zurückkehren zu dürfen. Frau Holle gefällt das, gibt ihm die Spule zurück und führt es zum Tor. Als das Mädchen darunter steht, fällt als Lohn für seine fleißige Arbeit ein gewaltiger Goldregen herab und bleibt an ihm hängen.

Der Tor wird verschlossen und das Mädchen befindet sich wieder oben in der Welt. Als ein Hahn es sieht, kräht er: 'Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie.'

 

Mit dem Goldsegen wird die Stieftochter gut zu Hause aufgenommen, weckt aber bald den Wunsch der Mutter ihrer faulen Tochter auch ein solches Glück zu verschaffen. Sie wird zum Spinnen an den Brunnen geschickt, sticht sich in Erwartung des Goldregens mutwillig die Finger blutig, wirft die Spule in den Brunnen und springt gleich hinterher. Auch sie erwacht auf der schönen Wiese und hört die Bitten um Hilfe des Backofens und des Apfelbaumes. Sie aber befürchtet persönlichen Schaden zu nehmen und geht vorbei. Als sie vor dem Haus der Frau Holle steht, wird auch sie eingeladen die Hausarbeiten zu tun. Zunächst tut sie sich Gewalt an, aber bald siegt ihre Faulheit und Frau Holle sagt ihr den Dienst auf. Damit ist die Faule zufrieden, erwartet sie doch den gleichen Lohn wie ihre fleißige Stiefschwester. Auch sie wird zum Tor geführt, aber statt mit Gold mit Pech übergossen.

Oben auf der Welt meldet der Hahn: 'Kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie'.

Das Pech bleibt an ihr hängen, solange sie lebt.



 

 

Anregung zur Deutung von Seelenentwicklung

 

 

Das Märchen Frau Holle handelt vom Zusammenhang des Seelenlebens in der Tages- und Nachtwelt. Erworbene Eigenschaften der Seele bestimmen hier wie da das Handeln, die Schicksalswege prägen.

 

Ein weiblicher Seelenteil ist als Witwe vom männlichen getrennt. Zwei Töchter  leben bei der Mutter. Eine ist die Stieftochter, die tatkräftig ist und ihre innere Ordentlichkeit als Schönheit ausstrahlt. Die andere ist ihre leibliche Tochter, deren Faulheit sie hässlich macht.

 

Am Brunnen, da wo ursprüngliche Lebenskräfte geschöpft werden, muss die Stieftochter spinnen, das bedeutet aus einem wirren Gedankenknäuel Fäden zu ziehen und sie geordnet auf eine Spule zu wickeln. Als die einmal blutig wird, also mit dem Saft ihres Gefühls-Lebens befleckt wird, will sie sie wieder reinigen. Dabei fällt die Spule aus ihrer Hand in den Brunnen.

Die Stiefmutter verlangt, dass das Mädchen die Spule zurückholt. Es springt in die Tiefe und verliert die Besinnung, mit den Sinnen wahrzunehmen. Seine Seele erwacht im bildhaften Traumbewusstsein auf einer paradiesisch schönen lebenskräftigen Wiese. Mit der ihm eigenen Tatkraft kommt es Bitten um Hilfe nach. Es holt fertig gebackenes Brot, ausgereifte Leibesformen, aus dem Backofen und schüttelt alle gereiften Äpfel, Früchte des Lebens, vom Baum.

Dann führt sein Weg es zu einem Häuschen, seinem Seelenhort in dieser Traumwelt, in der seine Urmutter-Seele wohnt. Vor den großen Zähnen, der wehrhaften Kraft eigenständigen Seins, der Frau Holle fürchtet es sich zunächst. Es beruhigt sich dadurch, dass es aufgefordert wird, alle Hausarbeiten gut zu tun. Besonders das Bett der Frau Holle, in dem sich geistige Substanzen sammeln, soll es gut ausschütteln, denn dann kristallisieren die sich und fallen in der Sinneswelt sichtbar als Schnee vom Himmel.

Das Mädchen tut alles wie gewohnt fleißig und ordentlich zur vollen Zufriedenheit und es geht ihm gut. Trotzdem fühlt es Heimweh nach den Seinigen in der wachbewussten Tageswelt. Seine Seelenmutter geleitet es zum Tor und darunter stehend, ergießt sich als Lohn für seine uneigennützige Tatkraft pures Gold  über sie, das schicksalshaft strahlendes Glück schenkt.

 

Als das Mädchen die Sinneswelt wieder betritt, kündet ein Hahn, der ein Wächter ist an der Schwelle zwischen Tages- und Nachtgeschehen, sein Kommen als goldene Jungfrau an, dem Sinnbild der weiblichen von dunklen Kräften unberührten reinen Seele.

 

Die Stiefmutterseele, die sich egoistisch ihrer persönlichen Nutznießung verbunden hat, nimmt zunächst gern Anteil am mitgebrachten Segen, doch reagiert sie bald mit Neid und Habgier und schickt ihre leibliche Tochter, die ihre persönliche Seelenentwicklung festigt oder ändert, auf den gleichen Weg.

Deren Sinnen richtet sich nur auf den zu erwartenden materiellen Gewinn und sie manipuliert den ihr bekannten Weg.

Auch sie gelangt in die paradiesische Traumwelt, ignoriert aber hochmütig die Bitten um Hilfe. Im Haus der Frau Holle schafft sie es nur kurze Zeit, den Anforderungen Folge zu leisten, dann siegt ihre Bequemlichkeit. Sie wird entlassen und ebenfalls an den Übergang zur sinnlichen Welt geführt. Dort erhält sie für ihr Verhalten entsprechenden Lohn. Sie wird mit dunklem zähem Abfallmaterial natürlicher Lebensenergien übergossen, das schicksalsmäßig wie anhaftendes Pech wirkt.